2. Kapitel: Die Zentrale

Die Stadt Vancouver gehört zum Regionaldistrikt Metro Vancouver, der nach Toronto und Montréal als drittgrößte Metropolregion Kanadas gilt, und im Südwesten der kanadischen Provinz British Columbia liegt. Die Stadt Vancouver ist in 23 Bezirke unterteilt, die unterschiedlich stark von der immer sichtbarer werdenden Armut betroffen sind. Insbesondere die East Hastings Street in Downtown Eastside gilt als Brennpunkt für Obdachlosigkeit, Drogenabhängigkeit und Zwangsprostitution.

Ich sitze Kenny, dem Leiter der kanadischen Cube-Zentrale, auf dem Campus-Gelände der University of British Columbia (UBC) gegenüber und lausche gebannt seinem Bericht. Nun dreht er langsam seinen Kuli zwischen den Fingern, während er sich in seinem Schreibtischstuhl zurücklehnt und auf meine Reaktion wartet. 

“Was fällt dir dazu ein?”, fragt er schließlich.

So langsam beginne ich zu begreifen, warum mich mein Onkel Carl für meine Mission nach Vancouver geschickt hat. 

Missionen auf der Erde sind eine Tradition, die jeder Bewohner von Cube mindestens einmal im Leben durchlaufen muss, um das Elend auf der Erde zu verstehen. Cube wurde kurz vor dem ersten Weltkrieg von meinem Urgroßvater – dem berühmten Albert Einstein – und anderen begabten Wissenschaftlern erschaffen, um die eigenen Kinder vor dem Elend und den Kriegen auf der Erde zu beschützen. Seine erste Frau Mileva Marić brachte im Jahr 1902 die erste Tochter und gleichzeitig meine Großmutter Lieserl auf die Welt, die angeblich kurz nach der Geburt zur Adoption freigegeben wurde. Tatsächlich brachte mein Großvater sie jedoch nach Cube, wo sie heute als eine der ersten Einwohnerinnen gefeiert wird. Leider hatte ich nie die Möglichkeit, sie richtig kennenzulernen, weil sie, seit ich denken kann, an einem wissenschaftlichen Projekt zur Erforschung der Unsterblichkeit (kurz “PERU”) arbeitet. Mein Ding ist das mit der Wissenschaft nicht so richtig – ich war immer eher die Kreative in der Familie.

“Hallo, Erde an Cassandra?! Bist du noch da?”, reißt mich Kenny aus meinen Gedanken.

“Äh… ja, klar! Entschuldige, was war deine Frage?”, frage ich zerstreut, doch Kenny schaut mich nur belustigt an. Er ist der Leiter der kanadischen Zentrale von Cube, die ihren Hauptsitz in Vancouver hat und soll meine Mission begleiten. Er ist ein groß gewachsener, sportlicher Typ Ende dreißig, mit Sommersprossen am ganzen Körper und einer blank polierten Glatze. Ich kenne ihn schon seit meiner Kindheit und sehe ihn mittlerweile fast als eine Art großen Bruder.

“Was denkst du über die Obdachlosigkeit der East Hastings Street als Startpunkt für deine Mission?”, wiederholt er geduldig seine Frage. Ich denke nochmal an seinen Bericht von den verheerenden Umständen in Downtown Eastside und weiß bereits, was ich ihm antworten werde.

“Packen wir’s an!”